Carlo Abarth – Der Stachel des Skorpions

Partner:
Feiertag?
  • Carlo Abarth – Der Stachel des Skorpions



    Als der Wiener Motorradfahrer Karl Abarth 1947 zusammen mit seinem Partner Armando Scagliarini die Sportwagenfirma Abarth & Co gründete, feierte Juan Manuel Fangio gerade seine ersten Erfolge im Rennwagen. Als der Patrone Carlo Abarth sein Lebenswerk 1971 an Fiat verkaufte, war Jacky Stewart gerade zum zweiten Mal Weltmeister geworden und Niki Lauda unternahm erste Gehversuche in der Formel-1. Obwohl der Sportwagenbauer Abarth selbst nur einmal mit einem Formel-1-Projekt liebäugelte, so entsprach der Zeitraum seines Schaffes doch den goldenen Jahren des Motorsports. Es war eine andere Zeit und Motorsport eine andere, eigene Welt.


    Rennfahrerei war noch immer von Pioniergeist beseelt, Ingenieure waren Bastler, Sicherheit war Feigheit, Umwelt noch kein Thema und der Weg zum Rennsport einer Elite vorbehalten. Erst Abarth eröffnete dem kleinen Mann einen schmalen Pfad. Er spezialisierte sich auf den Bau kleinvolumiger Sportwagen und demütigte damit die arrivierten Rennställe in zigtausenden Flugplatz-, Berg- oder Straßenrennen. Dabei zeigte er, welche Zutaten dafür notwendig waren: ein großes Herz und die richtigen Teile. Keiner verstand es wie er, kleine Fiats mit Pfiff zu veredeln. Heckklappe auf, Auspuffanlage drauf. Abarth war der Stachel der Unterlegenen. Beim Einsatz am Nürburgring ebenso wie beim Prestigeduell an der Kreuzung.


    Eigentlich begann die Karriere des Wieners Karl Abarth auf dem Motorrad. Er fuhr recht erfolgreich Rennen, wurde aber von einem schweren Sturz zurückgeworfen. Danach schaffte er ein Comeback bei den Seitenwagen, wo er auf selbst getunten Maschinen vielfacher Champion wurde. Seine Vorliebe für publicityträchtige Aktionen stellte er schon damals mit einem Wettrennen gegen den Orientexpress, das er natürlich gewann, unter Beweis. Den Schritt nach Italien begründete er später einmal so: „Es gibt kein anderes Land auf der Welt, wo man so wenig Limousinen mit Chauffeuren sieht – Italiener lieben es, ihre Autos selbst zu fahren.“


    Nur hier also konnte Abarth seinen Traum verwirklichen. Seinen Traum von Autos, die Spaß machen, von Fünfhundertern, die schneller waren als Fahrzeuge mit 1500 ccm. In Turin, einer Stadt, wo Automobilbau Tradition hatte. In Italien, wo man Leidenschaft entwickelt für Menschen mit Leidenschaft. Obwohl Abarth selbst das “Dolce far niente” nie verstand. Er war nicht wie Enzo Ferrari – dagegen sprach seine wienerische Mentalität. Dennoch ist der Vergleich zulässig, weil beide dominant, charismatisch und patenhaft waren; kühl, konsequent, eigensinnig, doch beseelt von der Idee, Erfolge durch Fleiß und Präzision zu erreichen.


    Und nirgends ist der Erfolg schöner und unmittelbarer zu spüren als im Rennsport. Deswegen galt Abarths wahres Interesse immer den revolutionären Prototypen, den Rekordjagden und weniger dem Teilverkauf, obgleich ihm dieser Geschäftszweig kommerziellen Erfolg und Weltruhm einbrachte. Abarth war ein Patron, ein Diktator, der an seinen Prinzipien stur festhielt und nur seine Arbeit im Kopf hatte, was er aber auch von anderen verlangte. „Tu lavora“ – „Du arbeite!“ hörten seine entnervten Ingenieure immer dann - bevorzugt um zehn Uhr nachts - wenn sie Abarth klarmachen wollten, dass seine neueste Vision in einer Sackgasse steckt. Bei aller Härte seiner Forderungen – die Vision war tatsächlich nie in einer Sackgasse, höchstens im Stau. Als Anhänger der Astrologie glaubte er an die Macht seiner Eigenschaften, Ausdauer und Rücksichtslosigkeit. Deshalb trug auch die Firma das Zeichen seines Sternkreises: den Skorpion.


    Berg-Europameister Hans Ortner war sicherlich ein Liebling von Carlo Abarth, auch wenn dieser sich alle Mühe gab, diese Tatsache in den zehn Jahren gemeinsamer Partnerschaft zu verbergen. Doch Ortner war einer der besten Tourenwagenfahrer der späten sechziger Jahre und außerdem ein verlässlicher Testfahrer, das verschaffte ihm Anerkennung. Ortner wusste mit der rauen Schale des Firmenvaters umzugehen, auch wenn dieser die Seinen in alttestamentarischer Weise auf die Probe stellte. Ortner war dann so manches Mal der Abraham des Herrn.


    Eines Abends um sechs, als das Werk gesperrt wurde, zitierte Abarth wie immer seine Führungskräfte zur Besprechung, um weitere Projekte minutiös zu planen. Dann thronte er in der Mitte, aufgebaut vor der berühmten Fotowand mit allen großen Rennfahrern, war stets in elegantestes Tuch aus Paris, London, Mailand gekleidet und aß einen Apfel. Seine Mitarbeiter berichteten. Es war die Woche vor dem wichtigen Bergrennen in Leon, und Abarth wollte eine Entscheidung, welches Getriebe nun einzubauen sei. Ortner meinte nur knapp, ermüdet von 1000 Testkilometern an diesem Tag: „Signore, ich bin noch nie im Leben in Leon gefahren, am besten, wir entscheiden vor Ort.“ Abarth hielt inne, sah durch die Runde und erwiderte noch knapper: „Dann fahren Sie nach Leon und teilen mir morgen früh mit, wie Sie entschieden haben.“


    Insgesamt verließen über 200 verschiedene Modelle das Werk in der Corsa Marche, und selbst diese Zahl kann nur als Anhaltspunkt verstanden werden. Denn in Wahrheit glich kein Abarth dem anderen. An jedem wurde bis zur Perfektion getüftelt und gefeilt. Technische Gebrechen traten in den Rennen so gut wie nie auf. Entweder versagte ein zugeliefertes Teil, worauf Abarth schließlich von der Batterie bis zum Kupplungspedal alles selbst anfertigte – man kann sich heutzutage auf niemanden mehr verlassen –, oder es waren Fahrfehler, die einen Abarth vorzeitig von der Strecke holten. Dann konnte man sich auf ein Gewitter gefasst machen! Einen Abarth zu ruinieren, stellte der Patriarch auf eine Stufe mit den schlimmsten Verbrechen der Menschheit. Oft ordnete er als Folge Sonderschichten an, beurlaubte Fahrer zwangsweise und verschärfte den Zeitplan drastisch.


    Wer undiszipliniert war, durfte gehen. Manches Mal sogar bevor er überhaupt gekommen war. Unpünktlichkeit und Kritik an seinen Fahrzeugen, das waren zwei Todsünden bei Carlo Abarth. Da konnte es ebenso vorkommen, dass er über die Schulter eines nörgelnden Kunden hinweg seinen Renningenieur zurief: „Dr. Avidano, diesem Herrn verkaufen wir keinen Abarth!“


    Die beinahe abartige Liebe zu den eigenen Fahrzeugen zeigte natürlich Wirkung. Seine Mechaniker arbeiteten an den Wagen behutsam wie Ärzte am geöffneten Schädel. Diese Behutsamkeit schlug mit 500 bis 600 großen Rennsiegen pro Jahr zu Buche. Dadurch entstand im Laufe der Jahre ein einzigartiger Mythos, vergleichbar mit Ferrari, nur getragen von einer anderen Klientel: den Fahrern legendärer 850er oder 1000er Fiat Abarth, gekennzeichnet durch die gekreuzten Isolierkleber über den Scheinwerfern und die geöffnete Heckklappe – übrigens das Glaubensbekenntnis jedes Abarth-Apostels. Abarth wurde zur Religion, und der Aufkleber mit dem Skorpion zum sichtbaren Zeichen der Zugehörigkeit.


    Auch der große väterliche Konzern Fiat erkannte rasch die Professionalität der Abarth-Schmiede und machte sie quasi zu seiner Sportabteilung. Carlo Abarth handelte sich für jeden Rennsieg eine Prämie aus. Ein kluger Zug, wie sich nach der gigantischen Flut von Titeln herausstellen sollte. Werbung oder Aufschriften gab es auf den alten Fiat-Abarth-Rennautos nie. „Ich will meinen Namen nicht vernebeln”, meinte er lakonisch, als Seitenhieb gegen die aufkommende Zigarettenwerbung im Motorsport. Der Skorpion und der Fiat-Abarth-Schriftzug zierten die Rennkisten, mehr nicht. Fiat zehrte vom Ruhm seines kleinen Bruders, und Abarth zehrte von deren Prämienzahlungen, auf die Autos selbst schlug er keine hohe Spanne auf.


    Dennoch haben Abarth-Raritäten heute astronomischen Sammlerwert, sind aber praktisch nicht zu bekommen. Die Besitzer sehen sich nämlich als Familienmitglieder und die letzten Fahrzeuge als Erbstücke. Und wer verkauft schon die Taschenuhr des Vaters! Der Wert ist ideell und daher ohnehin unbezahlbar. Denn jedes einzelne Modell erzählt eine wunderbare Geschichte. Oft war es der Held seiner Zeit wie der 850 TC oder der 1000 GT, manches Mal eine ästhetische Delikatesse wie der 2000 Sport Spider, auch groteske Hybriden waren dabei.


    Am legendärsten aber war vielleicht jenes Fahrzeug, das mit einer desaströsen Niederlage berühmt wurde und dennoch zu den großartigsten Rallyeautos überhaupt zählt: der Fiat 124 Abarth Rally. Es war 1974, in einer Zeit, als Carlo schon abgedankt hatte und sich in die Pension nach Wien zurückzog. Fiat hatte das Steuer übernommen, und langsam wurde aus der Bastelwerkstatt eine Rennfabrik, aus Einzelstücken wurden Seriengeräte. Nur im Sport blieb der Geist des Underdogs erhalten. Man wollte den hochmütigen Herren von Lancia, die den außerirdischen Stratos im Rallyesport einsetzten, zeigen, wie Sieger aussehen. Die Mission war heilig, der Schauplatz war San Remo, das Gerät der 124 Abarth und die Fahrer sechs wackere Italiener sowie ein Finne (zur Sicherheit) – ein gigantischer Werkeinsatz! Die Strategie bestand darin, die Lancias zu zermürben, Sonderprüfung für Sonderprüfung, da man weniger Leistung, aber mehr Geduld hatte. So ritten sie davon.


    Auf der SP 1, nach drei Minuten, schoss der erste in den Wald, der zweite hatte einen Reifenschaden, der dritte freute sich über die Führung, vergaß vor lauter Freude aufs Fahren zu achten und flog ab, der zweite hingegen war nach behobenem Defekt wieder unterwegs, nahm volles Risiko, um aufzuholen, kam aber nur bis zum Wrack des dritten, das sich hinter der Kurve breitmachte. Der vierte wurde mir dem schwerer werdenden Erfolgsdruck auf seinen Schultern nicht fertig – und ging auf der SP 2 verloren. Im Ziel blieb der Finne als Fünfter übrig, und Lancia war Weltmeister.


    Nach dem Tod von Carlo Abarth 1979 setzte Fiat immer sorgsamer das Zeichen des Skorpions ein. Den legendären Namen trugen forthin so bemerkenswerte Modelle wie der Fiat Ritmo Abarth und der Fiat 131 Abarth, mit dem Walter Röhrl 1980 seine erste Rallye-Weltmeisterschaft errang.


    Die Renaissance der Kultmarke begann 2007. Seitdem firmiert Abarth als eigenständige Marke innerhalb der Fiat Group Automobiles und lässt mit Fahrzeugen wie dem Abarth 500 oder dem Grande Punto Abarth den Geist von Carlo Abarth wieder aufleben. Ebenso den Motorport mit einem Abarth Racing-Team.

  • Hab beim youtuben gerade diesen Werbespot mit Charlie Sheen gefunden. Da bekomm ich gleich richtig Lust, Probe zu fahren. Ist natürlich kein alter Abarth, aber ich find's cool.



    Gruß, Scorvino

    The wheel was man's greatest invention until he got behind it.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!